Die Geschichte hinter meinen blockierenden Glaubenssätze

Ich bin allein, habe Angst und Schmerzen und kenne die Umgebung nicht. Meine Eltern sind gegangen und ich bin mit meinen 4 Jahren unter fremden Menschen. Das Einzige, was ich jetzt will, ist, dass meine Mutter mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles gut wieder gut wird. Was ist passiert?

Eben habe ich noch im Freibad mit meinem Vater riesigen Spaß gehabt: Er stand im Wasser und ich bin die Wasserrutsche hinunter gerutscht. Er hat mich aufgefangen und ich fand es großartig! Ich hatte vollstes Vertrauen, obwohl ich noch nicht schwimmen konnte. Im Wasser war ich in meinem Element. Es gab für mich kaum etwas Besseres als im Wasser zu toben. Also rannte ich immer wieder die Wasserrutsche hoch, rutschte runter in die sicheren Arme meines Vaters, der mich wieder auf festen Boden stellte, damit ich erneut rutschen konnte. So ging es eine ganze Weile. Doch dann verlor ich den Halt auf den nassen Stufen der Wasserrutsche und fiel – kopfüber – auf Waschbeton. Ich schrie.

Meine Eltern und der Bademeister brachten mich in Sicherheit und dann verlor ich wahrscheinlich das Bewusstsein. Jedenfalls wachte ich in einem Kinderbett im Krankenhaus wieder auf.

Meine Mutter saß neben mir: Ich war in Sicherheit und schlief wieder ein. Als ich erneut aufwachte, war meine Mutter weg. Natürlich weinte ich und hatte Angst – so allein in fremder Umgebung unter fremden Menschen. Eine Krankenschwester kam und tröstete mich. Sie sagte, dass meine Mutter gegangen sei, als ich geschlafen habe. Zu der Zeit war es noch nicht möglich, dass Eltern im Krankenhaus bleiben konnten. Es gab keine Familienzimmer oder eine andere Möglichkeit für Eltern(-teile), bei ihren Kindern zu bleiben. Sicherlich fiel es meiner Mutter schwer, mich da allein zu lassen. Sie kam in der Nähe bei Verwandten unter, denn wir waren im Urlaub.

Mein Vater musste arbeiten und fuhr nach Hause. Er war zu der Zeit viel mit dem Auto unterwegs. Viel später erzählte er mir, dass er immer wieder rechts ranfahren musste, um sich die Tränen wegzuwischen. Jeden Tag hat er im Krankenhaus angerufen, um zu wissen, wie es mir geht, und die Krankenschwestern nahmen sich geduldig die Zeit und erteilten ihm täglich Auskunft. Meine Mutter besuchte mich täglich. Aber ich durfte mich nicht in ihre Arme kuscheln, denn dafür hätte ich mich im Bett aufsetzen müssen. Und das durfte ich nicht.

Vermutlich hatte ich ein Riesenglück, dass ich “nur” eine schwere Gehirnerschütterung hatte. Das war mir zu der Zeit aber nicht klar. Ich wusste, ich musste liegen bleiben und durfte nicht mit dem Kopf hochkommen. Das hatte man mir gesagt. Immer wenn ich etwas vom Bettende haben wollte (ein Kuscheltier o.ä.), rutschte ich liegend nach unten und holte es mir, ohne den Kopf zu heben. Eine Umarmung und in die Arme meiner Mutter kuscheln ging also nicht.

Im gleichen Zimmer lag noch ein anderes, etwas jüngeres Kind, das viel Quatsch machte und mich animierte, mitzumachen. Da ich wusste, dass es seeehr wichtig für mich war, mich nicht zu sehr zu bewegen, tat ich es nicht – was mir schwer fiel. Kurze Zeit später wurde das Kind in ein anderes Zimmer verlegt, um mich zu schonen.

Jeder lobte mich sehr dafür, dass ich das “Kopfhebe-Verbot” so ernst nahm. Als ich nach drei Wochen (Was für eine lange Zeit für ein kleines Kind!) etwas früher als anfangs gedacht, entlassen wurde, sagte man mir, das läge auch daran, dass ich mich so vorbildlich verhalten hatte. Ich sollte aber auch zu Hause noch kein fernsehen und nicht zu sehr toben.

Im Nachhinein kann ich sagen, dass alle sehr liebevoll und fürsorglich waren. Leider gab es nie den Zeitpunkt, an dem jemand sagte, dass jetzt wieder alles gut sei und ich wieder rumtoben durfte. Natürlich tat ich es, aber irgendwie habe ich in dieser Zeit Glaubenssätze entwickelt, die mich mein Leben lang begleitet haben:

  • “Ich bin allein.”
  • “Das, was ich am liebsten will, schadet mir.”
  • “Wenn ich unbekümmert Spaß habe, droht jederzeit ein Unglück.”

Was für ein Wahnsinn!!

Diese Glaubenssätze habe ich – ohne es zu merken – so verinnerlicht, dass sie mir während der Krankenhaus-Zeit vielleicht das Leben gerettet haben oder zumindest geschützt haben. Doch später hinderten sie mich sehr. Lange Zeit wusste ich nicht, warum ich mich von anderen so abgeschnitten fühlte. Erst als ich – nach Jahrzehnten – die Geschichte von einer Person hörte, die als kleines Kind mit einer Hirnhautentzündung ins Krankenhaus musste, diese Erfahrung als traumatisch beschrieb und deswegen in psychotherapeutischer Behandlung war – und mir beim Zuhören die Tränen über das Gesicht liefen, merkte ich, wie sehr mich meine eigene, sehr ähnliche Erfahrung noch immer in meinem Leben beeinflusste.

Mir war bis dahin überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass diese – zwar auf körperlicher Ebene traumatische – Kindheitserfahrung auch emotional traumatisch gewesen sein könnte! Plötzlich war mir klar:

  • Ja, ich hatte mich sehr durchgekämpft.
  • Ich musste mich innerlich hart machen, weil ich sonst vermutlich daran zerbrochen wäre, dass mich niemand in die Arme nehmen konnte und ich als ein Kind mit großem Bewegungs- und Erkundungsdrang so lange still liegen bleiben musste!

Später, als ich dann zur Schule kam, hörte ich immer wieder diesen einen Satz: Jetzt fängt der Ernst des Lebens an. Immer mit einem Augenzwinkern, aber der Ernst des Lebens war für mich eine Erinnerung an die Zeit, als ich keinen Spaß haben durfte, still bleiben musste und letztlich alleine mit meinen Ängsten und innersten Wünschen war. Letztlich verfestigten sich damals meine oben genannte Glaubenssätze noch weiter.

Dadurch dass ich mich aufgrund dieser Glaubenssätze so einschränkte, verhielt ich mich natürlich auch entsprechend, machte alles mit mir selbst aus, distanzierte mich immer mehr von anderen Menschen und glaubte, niemanden an mich heranlassen zu dürfen. Natürlich litt ich immer mehr, was dazu führte, dass ich mich noch mehr zurückzog und mit mir ausmachen wollte.

Mein Körper machte sich bemerkbar mit Verspannungen und Schmerzen. Meine Atmung wurde flach und ich hielt manchmal auch die Luft an. Alles an mir war angespannt und auf der Hut. Entspannung war schön, aber nicht erholsam. Letztlich distanzierte ich mich immer mehr von meinem eigenen Körper. Es war anstrengend.

Nun waren diese Glaubenssätze ja nicht dazu da, mir zu schaden. Im Grunde wollten sie mich ja schützen. Und sie fühlten sich so real an. Es gab für mich damals einfach keine Alternative, als sie zu glauben. Jeglicher Versuch, mir einzureden, dass ich glücklich sein dürfe oder andere Affirmationen, führten letztlich nur dazu, dass es mir noch schlechter ging. Heute weiß ich, warum das so war. Denn diese Affirmationen waren natürlich eine Gefahr für meine festen Überzeugungen über mich, mein Leben und die Welt. Je mehr ich mich davon überzeugen wollte, dass ich glücklich und entspannt sein durfte, desto mehr musste mein Unterbewusstsein natürlich dagegen rebellieren. Und das tat es, um mich zu schützen, nicht um mich selbst zu boykottieren – wie ich es oft empfunden habe.

Es war nicht so, dass plötzlich alles von mir abfiel, weil ich jetzt wusste, woran es lag, dass ich nicht so glücklich war, wie ich es gerne gewesen wäre. Mir wurde vieles klarer und ich konnte weicher und liebevoller auf mich selbst blicken. Aber es war immer noch ein Stückchen Arbeit, bis ich diese Glaubenssätze für mich so verändern konnte, dass sie mich nicht mehr einschränkten, sondern mich so unterstützten, dass ich mir erlauben konnte, mein Leben in vollen Zügen zu genießen.

Und ganz ehrlich: Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass die alten Überzeugungen hochkommen. Aber es ist eine unfassbare Erleichterung, sie zu durchschauen und mir zu erlauben, wohlwollend auf mich zu sehen und zu wissen, warum ich so fühle und denke, wie ich es tue und warum ich so bin, wie ich bin und so war, wie ich war. Ich weiß jetzt, dass alles, was war, immer zu meinem Schutz war. #Liebe

Zu keinem Zeitpunkt habe ich gegen mich selbst gehandelt oder mich selbst bekämpft. (Auch wenn es sich oft so angefühlt hat!) Ich wusste es nur nicht besser!

Verschlagwortet mit , .

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu hinterlassen.

CommentLuv badge